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Spezielle Projekte
Am 9.
Mai 2016 fand einer der seltenen Merkurtransits vor der Sonne statt.
Merkur hatte zur Zeit des Transits eine Entfernung zur Erde von ca. 83.371.000
Kilometer und zeigte sich bei seinem Äquatordurchmesser von 4.879,4
Kilometer als ein kleines Scheibchen von knapp 12.1 Bogensekunden scheinbaren
Durchmesser.
« Das Bild links (11:14:09 UTC) zeigt Merkur
beim Eintritt vor die Sonnenscheibe. Zurück zur Startseite
Spezielle Projekte |
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9.
Mai 2016 - Ein Merkurtransit und der Versuch über zeitgleiche
Beobachtungen aus Namibia und Deutschland die Merkurparallaxe und damit die
Sonnenentfernung und den Wert der Astronomischen Einheit
abzuleiten.
Prinzipiell ist ja
ein Merkur- oder Venustransit vor der Sonnenscheibe (wenn auch sehr selten)
eine eher langweilige Angelegenheit, obwohl dem Beobachter ja die Dynamik im
Sonnensystem praktisch vor Augen geführt wird. Die Animation rechts zeigt
5 Phasen des beginnenden Transits zwischen 11:14 und 11:19 UTC, aufgenommen in
Namibia (Bildorientierung: Osten links, Süden oben). Aufnahmeteleskop war
ein 75mm Pentaxrefraktor mit 500mm Brennweite, ausgerüstet mit einem 60mm
H-Alpha Filter von Coronado mit einer Halbwertsbreite von ca. 0.7 Ångström.
Aufnahmekamera war ein Celestron Videomodul SkyRis 445 Mono (stacking je 12%
von 1.200 Einzelbildern).
Das
Bild zeigt sehr schön am Rand die Sonnenchromosphäre im Schnitt. Im
Vergleich zum Merkur (knapp 4.880 km Durchmesser = 12.07 Bogensekunden) sieht
man deutlich wie dünn die Chromosphäre im Vergleich zum
Sonnendurchmesser ist. Auch deutlich sichtbar, dass Merkur beim Eintritt nur um
Bogensekunden die Bedeckung einer kleinen Protuberanz verpasst
hat.
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Um nicht nur die übliche Fotoserie des Transits aufzunehmen
hatten wir uns überlegt, ob es mit einfachen Amateurmitteln und Bildbearbeitungssoftware heute zu Tage möglich sei, über die
Merkurparallaxe die Sonnentfernung und damit den
fundamentalen Wert der Astronomischen Einheit zu bestimmen.
Deshalb
verabredeten wir uns mit einem Freund - Dirk Lucius in Ostfriesland - bei
klarem Himmel auf die Sekunde zeitgleich Avifiles (mit gleicher Anzahl von
Einzelbildern mit ähnlichem Equipment alle 15 Minuten
aufzunehmen.
Das Bild links zeigt die Merkurparallaxe, bezogen auf die
Chromosphäre der Sonne - um exakt 14:00:15 UTC Uhr (Zeitmitte des
Avifiles) zwischen Leer/Ostfriesland und der Onjala Lodge in Namibia.
Aufnahmebrennweite waren ca. 1.000 Millimeter. Die Verschiebung beträgt
ca. 3/4 des scheinbaren Merkurdurchmessers.
Alle folgenden Bilder können durch
Anklicken vergrößert werden. |
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Die
Station Onjala (S 22° 12 und 24.2, Ost 17° 34 und
58.8, Höhe ca. 1724 m über dem Meer)
Wir hatten das
Aufnahmeteleskop auf unsere transportable Montierung im freien aufgestellt, um
die Seeingbedingungen so gut wie möglich zu halten (Kuppelseeing). Der
75mm Pentaxrefraktor mit 500mm Brennweite wurde parallel zu einem fest
montiertem C11 mit Hyperstar so montiert, dass die Öffnung des C11 zum
Erdboden zeigte und die Hauptspiegelzelle des C11 wurde mit Rettungsfolie
abgedeckt.
Als Aufnahmekamera wurde ein Celestron Videomodul 445 M mit
einer Pixelgröße von 3.75mü eingesetzt. Jedes Avifile hatte 700
Einzelbilder, von denen je 20% gestackt worden sind. Die Rechneruhr wurde kurz
vor |
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Beginn des
Transits über einen GPS Empfänger sekundengenau gesetzt. Wie auf den
Bildern oben deutlich zu sehen ist, waren die Wetterbedingungen in Namibia
alles andere als optimal. Wir hatten während unseres gesamten Aufenthaltes
auf Onjala eigentlich jeden Tag die gleiche Situation: Vormittags klarer blauer
Himmel und ab Mittag dann stark aufkommende Quellbewölkung und ab Abend
dann meist komplett bedeckt.
Bedingt durch die zunehmende Bewölkung
konnten wir wesentlich weniger Avifiles zu den verabredeten Zeiten aufnehmen
als wir geplant hatten. Insgesamt hatten wir zum Schluss nur 6 zeitgleiche
Aufnahmen zur Auswertung zur Verfügung.
Da wir möglichst viele
Details und feine Strukturen auf der Sonnenscheibe zur Messung der
Merkurparallaxe benötigten, wurden die Aufnahmen in den H-alpha Bereich
der Sonnenchromosphäre gelegt. Auf Onjala kam ein 60mm Coronado (HWB ca.
0.7 Ångstörm) und in Ostfriesland ein 2fach gestackter 90mm Coronado Filter
(HWB ca. 0.5 Ångström) zum Einsatz. |
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Während für einen von uns (Paech) nun 4 Stunden schwitzen
unter einem Handtuch (Abschattung des Laptop-Bildschirms) angesagt waren, stand
der andere von uns (Hofmann) in der 4m Kuppel und belichtete am Zeiss APQ
Refraktor (150/1.200mm) mit einer Canon 6D und einem alten Baader Herschel
Prisma Bilder im Weißlicht.
Im folgendem nun einige
Weißlicht-, H-alpha Bilder und Animationen des Merkurtransits. Wegen der
stark zunehmenden Quellbewölkung haben wir gegen 15:30 UTC (17:30 MESZ)
die Aufnahmen abgebrochen, zudem in Namibia die Sonne gegen 16:30 UTC
unterging. |
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Vier
Weißlichtbilder, aufgenommen mit dem Zeiss APQ Refraktor, Canon 6D und
einem alten Baader Herschel Prisma (Bildorientierung: Osten links, Norden oben).
Die beiden Bilder links wurden kurz nach dem Eintritt aufgenommen. Das Bild
rechts kurz vor dem Abbruch unserer Bilder durch die inzwischen zu dichte
Bewölkung. Die Bilder lassen sich durch Anklicken
vergrößern. |
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Zu
den H-alpha Aufnahmen von Onjala. Das Bild links (anklicken zum Laden eines
großen Bildes) zeigt die ganze Sonne um 12:45 UTC mit den drei markierten
aktiven Regionen NOAA 2541, 2542 und 2543.
Weitere Bilder, aufgenommen
zu verschiedenen Phasen des Transits, die die ganze Sonne zeigen, können
hier in voller Größe angezeigt werden:
11:02
(noch ohne Merkur),
11:31,
12:15,
13:17
und 14:51 (alle Zeitangaben in UTC). Unten zeigen wir noch zwei
Animationen, beide können auch durch Anklicken vergrößert
werden. Links: 14:11 bis 14:33 UTC, aufgenommen mit f ca. 1.000 mm und rechts
von 11:15 bis 13:50 UTC mit f = 500 mm.
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Beachten Sie beim Betrachten der Animationen auch die
Veränderungen der chromosphärischen Erscheinungen. |
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Die Station Leer in Ostfriesland
(N 53° 14' 44.4", E 07° 28' 36.0", Höhe ca. 3 m über dem
Meer)
In Deutschland beobachtete Dirk Lucius
zeitgleich den Merkurtransit. Sein Aufnahmeteleskop war ein 90mm Refraktor und
einem Coronado Double Stack H-alpha Filter. Aufnahmekamera war - wie in Namibia
- ein Celestron Videomodul SkyRis 445 M. Die Teleskopbrennweite wurde mit einem
Baader FFC Modul auf ca. 1.000 mm verlängert.
Das Bild rechts außen zeigt die mittlere
Aufnahmequalität der Video Summenbilder von Dirk. Beide Bilder können
durch Anklicken vergrößert werden. |
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Neben den
zeitgleichen Aufnahmen zur Messung der Merkurparallaxe, arbeite Dirk noch mit
seinem 150 mm Refraktor und belichte Bilder in den drei Spektralbereichen (von
links nach rechts) Kontinuum (Weißlicht), im CaK - und im H-alpha Licht
mit unterschiedlichen Brennweiten. |
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Die Messung der Merkurparallaxe und daraus
folgend die Bestimmung der Astronomischen Einheit |
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Kennt
man einerseits die Parallaxe eines Himmelskörpers in Bezug auf wesentlich
weiter entfernte Hintergrundobjekte und andererseits die Entfernung zwischen
den beiden Beobachtungsstationen \(\Delta P\) kann aus diesen beiden Messwerten
die Entfernung des Himmelskörpers rein geometrisch bestimmt werden. In den
meisten Fällen sind die Parallaxenwinkel \(\pi\) in der Astronomie sehr
kleine Winkel. Dadurch vereinfacht sich die Berechnung und die Entfernung \(d\)
zum Körper S kann mit Hilfe der Bogenformel bestimmt werden, siehe
Abbildung
1 links: $$d = \frac{\Delta P}{\pi}$$ |
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Die
Parallaxe der Sonne und damit auch die AE kann leider nicht direkt vor dem
Hintergrund der quasi "unendlich" weit entfernten Sterne gemessen werden.
Über die Beobachtung eines Transits von Merkur oder Venus und der Kenntnis
der relativen Entfernungen im Sonnensystem, z.B. über das dritte
Kepler'sche Gesetz, erhält man jedoch einen Zugang zur gesuchten
Astronomischen Einheit. |
Der
von uns verwendete Ansatz basiert auf der zeitgleichen Beobachtung der Position
von Merkur vor der Sonne. Dazu wurden die in Leer und auf Onjala aufgenommenen
Bilder deckungsgleich überlagert und die verbleibende Parallaxe des
Merkurscheibchens \(\pi'_M\) bezüglich der Sonnenoberfläche bestimmt.
\(\pi'_M\) ist eine Kombination aus der Parallaxe der Sonne \(\pi_S\) und des
Merkurs \(\pi_M\) bezogen auf die Hintergrundsterne, siehe
Abbildung
2 (rechts). Im linken Bildteil sind die Sonne, das Merkurscheibchen und die
Hintergrundsterne dargestellt, wie sie vom Standort 1 auf der Erde erscheinen.
Im mittleren Bildteil ist die Ansicht der Sonne und des Merkurs von Standort 2
aus überlagert. Relativ zu den feststehenden Hintergrundsternen
könnte hier die Sonnen- und Merkurparallaxe abgelesen werden. Da die
Hintergrundsterne am Taghimml jedoch nicht sichtbar sind, kann nur die
Parallaxe bezüglich der Sonnenoberfläche bestimmt werden (rechter
Bildteil), wobei gilt \(\pi'_M=\pi_M-\pi_S\). |
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Aus
langfristigen Bahnbeobachtungen lassen sich die relativen Abstände
zwischen Erde und Merkur \(d_{M}\) und Erde und Sonne \(d_S\) zum
Transitzeitpunkt in Vielfachen der AE bestimmen. Da diese Beobachtungen
außerhalb unserer Möglichkeiten liegen, nutzten wir die Seite
www.calsky.com zur
Bestimmung dieser Größen. Dabei erhielten wir die Faktoren
\(d_S=1.01\) und \(d_M=0.558\).
Die Astronomische Einheit sei in
folgender Formel mit \(x\) bezeichnet und kann mit den oben genannten
Größen über $$x=\frac{\Delta
P}{\pi'_Md_S}\left(\frac{d_s}{d_M}-1\right)$$ berechnet werden. Die Herleitung
ist in unserer Formelsammlung ausführlich beschrieben.
Die Bestimmung der Merkurparallaxe \(\pi'_M\) in den zeitgleich
aufgenommenen Bildern sei im Folgenden kurz
beschrieben. |
- Bestimmung des
Abbildungsmaßstabes der Onjala Aufnahmen anhand des Sonnendurchmessers
von 1900.8 Bogensekunden (lt. www.calsky.com) für den Transitzeitraum.
- Zuordnung der Aufnahmen aus
Leer anhand der Hα-Strukturen auf die Onjala-Aufnahmen. Um den Aufwand
für eine manuelle Referenzierung in Photoshop zu reduzieren, wurden die
Aufnahmen um einen Faktor 8 (Onjala) bzw. 4 (Leer) vergrößert, zwei
"künstliche Sterne" an markanten Hα-Strukturen einkopiert, siehe
Abbildung
3 rechts, und im Programm MaximDL automatisch aufeinander ausgerichtet.
- Bestimmung der
Pixelkoordinaten des Merkurscheibchens in den beiden Aufnahmen für jeden
Messzeitpunkt. Dies wurde in den skalierten Aufnahmen durchgeführt, indem
in Photoshop ein etwa merkurgroßer Kreis erstellt und manuell mit der
Funktion "frei transformieren" auf das Merkurscheibchen zentriert wurde. Die in
Photoshop angegebenen Pixelkoordinaten des Mittelpunktes werden als
Positionsmesswerte verwendet, siehe
Abbildung
4.
- Umrechnung des Abstandes in
Pixeln in den Parallaxenwinkel \(\pi'_M\) am Himmel über den
Abbildungsmaßstab und dem Skalierungsfaktor der
Onjala-Aufnahme.
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Abbildung
3 |
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Die
Berechnung des reduzierten Abstandes \(\Delta P\), senkrecht zur Richtung
Beobachtungsstation-Merkur, zwischen Onjala und Leer wird hier kurz
zusammengefasst. Die nötigen Berechnungsschritte und Formeln sind in der Formelsammlung aufgeführt. Die Grundlage bilden die, für jeden Beobachtungszeitpunkt
getrennt betrachteten, räumlichen Dreiecke Merkur - Onjala (\(P_2\)) -
Leer (\(P_1\)). Abbildung
5 (unten) zeigt ein Beispieldreieck und die darin verwendeten Vektoren.
Für die Berechnung ist es wichtig, dass die alle Vektoren in einem
gemeinsamen Koordinatensystem vorliegen. Hier bietet sich das von der
Erdrotation unabhängige Himmelsreferenzsystem ICRS an
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Abbildung
4 » |
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- Über die
Stationskoordinaten (Länge, Breite, Höhe) von Leer und Onjala werden
die Ortsvektoren \(\vec{p}_2\) und \(\vec{p}_1\) in einem erdfesten
kartesischen Referenzsystem berechnet.
- Rotation der beiden Vektoren
in das ICRS mit Rotationsdaten des
Earth Orientation Center.
- Bestimmung des Vektors
\(\vec{g}_0\), d.h. der Richtung zu Merkur im Raum, mit Daten der
JPL Horizons
Website. Dieser Vektor kann prinzipiell auch mit Kenntnis der Position von
Merkur am Himmel und der Uhrzeit bestimmt werden, aber hier sparen wir uns
diese Arbeit.
Der reduzierte Abstand
berechnet sich über das Kreuzprodukt der Vektoren zu $$\Delta
P=\left|\left(\vec{p}_2-\vec{p}_1\right)\times\vec{g}_0\right|.$$ |
« Abbildung
5 |
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In der
Tabelle sind die Ergebnisse der sonnenbezogenen Merkurparallaxe \(\pi'_M\), der
reduzierte Abstand \(\Delta P\) zwischen Onjala und Leer sowie die berechneten
Werte für die Astronomische Einheit \(x\) für jeden Messzeitpunkt
zusammengefasst. Der Mittelwert beträgt 149 931 751 km mit einer
Standardabweichung von 5.6 Millionen km. |
Messzeitpunkt [UTC] |
\(\pi'_M\) ["] |
\(\Delta P\) [km] |
\(x\) [km] |
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11:15:12.5 |
8.516 |
7807.17 |
151 657 264 |
12:30:12.5 |
8.936 |
7782.32 |
144 068 962 |
13:00:12.5 |
8.263 |
7761.36 |
155 383 158 |
13:15:12.5 |
9.044 |
7747.67 |
141 722 132 |
13:45:12.5 |
8.263 |
7712.88 |
154 413 326 |
14:00:12.5 |
8.352 |
7691.46 |
152 345 665 |
Die Animation
rechts zeigt die Merkurparallaxe bezogen auf die Chromosphäre der Sonne
zwischen Leer und Onjala um 14:00:00 UTC » |
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Wir hätten zu Beginn dieses Projektes nicht vermutet, dass
uns die Bestimmung der Astronomischen Einheit mit den eingesetzten kleinen
Instrumenten so genau gelingen würde. Die Differenz zum SI Wert der
Astronomischen Einheit beträgt gemittelt nur rund 334.000 Kilometer, also
etwas weniger als der mittlere Abstand zwischen Erde und Mond.
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Franz Hofmann, Wolfgang Paech und Dirk Lucius |